1927/28 schlossen sich die
preußischen Landgemeinden Schiffbek, Kirchsteinbek und Öjendorf, deren Existenz
seit dem beginnenden 13. Jahrhundert belegt ist, zu der preußischen
Großgemeinde Billstedt zusammen. Kirchsteinbek und Öjendorf blieben bis ins 20.
Jahrhundert vorwiegend ländlich geprägt, in Schiffbek siedelte sich seit 1882 dagegen
Industrie an. 1937 wurde Billstedt durch das Groß-Hamburg-Gesetz nach Hamburg
eingemeindet.
Dokumentation
Ansprache des SPD-Fraktionsvorsitzenden
im Ortsausschuß, Helmut Hose, am 16.9.1977:
Genau heute vor 5o Jahren, am 16.September
1927, ebenfalls auf einem Freitag, wurde in den Räumlichkeiten der Gaststätte Vocke, die
Zusammenlegung der 3 Gemeinden Schiffbek, Kirchsteinbek und Öjendorf beschlossen. Die
Tagesordnung zu dieser Schiffbeker Gemeindevertretersitzung ist erhalten geblieben. Unter
dem Tagesordnungspunkt 1 wurde die Festsetzung der Mieten für die Wohnungen in den
neuerbauten Häusern an der Möllner Landstraße verhandelt. Dieses zeigt, der Wohnungsbau
war damals wie heute ein wichtiges kommunalpolitisches Anliegen. Was uns heute jedoch
fehlt, das ist die Einwirkungsmöglichkeit auf Mietpreise, welches damals zumindest bei
Gemeindebauten gegeben war.
Der Tagesordnungspunkt 2 sah die
Beschlußfassung über die Zusammenlegung der Gemeinden Schiffbek, Kirchsteinbek und
Öjendorf vor. Dieses war die Geburtsstunde des heutigen Billstedt. Hiermit ging ein lang
gehegter Wunsch der SPD-Fraktion des Gemeindeparlamentes zu Schiffbek in Erfüllung.
Wie die Tagesordnung für diese Sitzung, so
sind auch Briefe von Bürgern, welche sich mit der Zusammenlegung und Namensgebung
befaßten, erhalten geblieben. Dieses zeugt von einer langen Tradition, die bis heute in
diesem Stadtteil erhalten geblieben ist, die wir Sozialdemokraten weiter ausbauen und
fördern wollen! Die Mitwirkung der Bürger: 10 Jahre nach der Gründung Billstedts, also
vor 40 Jahren, wurde Billstedt durch das sogenannte Groß-Hamburg-Gesetz der damals nicht
mehr Freien und Hansestadt Hamburg angegliedert. Hierbei war von Mitsprache oder
Mitwirkung der Bürger nicht mehr die Rede. Damit will ich nicht die Notwendigkeit des
Anschlusses an Hamburg bestreiten. Es hätte aber bestimmt einen besseren Weg gegeben -
den Weg des eigenen freien Entschlusses, den die Bürger Billstedts fasten, als sie aus
den Trümmern der Vergangenheit Bausteine für einen demokratischen Neubeginn, für den
Wiederaufbau sammelten, als ein Teil der wieder Freien und Hansestadt Hamburg!
Allen, die sich daran beteiligt haben,
schulden wir Dank und Anerkennung.
Wir Sozialdemokraten danken für das große
Vertrauen, welches uns von den Bürgern Billstedts zu allen Zeiten entgegengebracht wurde.
In diesen Dank beziehen wir auch und besonders herzlich die Bürger Horns, Billbrooks und
Moorfleets mit ein, mit denen uns in diesem Ortsamtsbereich und Ortsausschuß vieles
verbindet. An diesem Jubiläumstag kann man feststellen, Billstedt hat sich zu einem
vollwertigen Stadtteil Hamburgs entwickelt. Billstedt gehört zu den wachsenden
Stadtteilen mit einer weiter aufstrebenden Zukunft.
Die Billstedter sind stolz auf ihren Stadtteil
und das mit Recht! Die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses wünscht den
Billstedtern für die Zukunft alles Gute. Möge der Gemeinsinn dieses Stadtteils wachsen.
Lassen sie uns alle gemeinsam, als
ein Teil dieser Freien und Hansestadt Hamburg, zielstrebig für die Zukunft eintreten,
für eine Zukunft in Frieden und Freiheit. Geprägt durch soziale Gerechtigkeit!
Nachstehender Beitrag wurde 1991 in einer Festausgabe der
SPD-Mitgliederzeitung Billstedter Briefe veröffentlicht. Es ist das Verdienst des
damaligen Distriktsvorsitzenden, Heiner Biller, die Geschichte der SPD Billstedt erforscht
und in dieser Festschrift zusammengetragen zu haben.
1891-1933 DER AUFBAU
Zu den Reichstagswahlen im Jahre 1884 gehörten die drei Gemeinden
Schiffbek, Öjendorf, Steinbek noch zum 8. schleswig - holsteinischen Reichstagswahlkreis,
der in seinem Umfang Altona und den größten Teil des Landkreises Storman umfaßte. Am
28. Oktober 1884 wählte die Mehrheit der 20.849 Wähler im Altona-Stormaner Wahlkreis
Karl Frohme als ihren Volksvertreter in den Reichstag. In Schleswig-Holstein war es der
erste Wahlkreis, der von der jungen Arbeiterbewegung nicht nur errungen, sondern auch
dauerhaft gehalten wurde.
Es war der erste Wahlkreisgewinn seit der Bismarckschen Sozialistenverfolgung im Lande,
eine Verfolgung, die für Frohme Gefängnis und Verbot seiner Schriften wie seiner
Redakteurstätigkeit bedeutete. Desungeachtet errang er bei den folgenden Reichstagswahlen
mit immer höheren Stimmzahlen das Vertrauen der Wähler in Altona, Storman und Wandsbek.
Nach dem Zusammenbruch des Wilhelminischen Kaiserreichs wirkte er dann noch bis 1924 als
schleswig-holsteinischer Reichstagsabgeordneter am Aufbau der Weimarer Republik.
Schon zur ersten Reichstagswahl nach dem Aufheben der Sozialistengesetze gab es in
Schiffbek eine in der SPD organisierte Arbeiterschaft. Durch die Ansiedlung der
ULLNERISCHEN FARBHOLZMÜHLE und der VEREINIGTE JUTEFABRIK änderte sich das Gesicht
Schiffbeks von einem kleinen Bauerndorf zu einer Arbeiterwohngemeinde mit einem rasant
ansteigenden Einwohnerzahl bis zu 8187 im Jahre 1905.
Vor 100 Jahren bildete sich dann in dem jetzigen Gebiet Billstedt der
Sozialdemokratische Verein von Schiffbek und Umgegend als eigenständiger Ortsverein
heraus. Im Gründungsjahr des Ortsvereins lag die Einwohnerzahl in Schiffbek bei knapp
unter 4000. Sehr schnell konnten Mitglieder für die Partei geworben werden und so wuchs
die Anzahl der Mitglieder Im Sozialdemokratischen Verein von Schiffbek und Umgegend im
Jahre 1906 auf 516. Dies entspricht etwa der gesamten Einwohnerzahl von Öjendorf im
selben Jahr.
HAMBURGER ECHO vom 6. August 1892
Öffentliche Volksversammlung
am Sonntag nachmittag 4 Uhr
in Ost - Steinbek im Lokal des Herrn J.Behr.
Tagesordnung:
1.) Die Ziele der Sozialdemokratie
2.) Diskussion
3.) Verschiedenes
Der Einberufer |
Die Industrialisierung machte auch nicht vor den Toren Schiffbeks halt. So waren
im Jahre 1905 bereits 1400 Arbeiter in der Jutefabrik beschäftigt. Mit der Farbholzmühle
zusammen waren in den Fabriken Schiffbeks ca. 2000 Arbeiter beschäftigt. In den anderen
Ortsteilen des heutigen Billstedt Öjendorf und Steinbek gab es zur damaligen Zeit sehr
wenig Industrie, dies schlägt sich auch in den Einwohnerzahlen der beiden Ortsteile
nieder. Öjendorf hatte im Jahre 1905 gerade einmal 682 Einwohner und Steinbek brachte es
auf 1893.
Welche Schwierigkeiten es neben den behördlichen Steinen beim Aufbau der Organisation
in Schiffbek gab, zeigt ein Artikel über eine Versammlung in Kirchsteinbek vom 31. 10.
1903:
Eine
große Interessenlosigkeit für die kommenden Landtagswahlen zeigte die am Donnerstag
Abend im Kratzmann'schen Lokal abgehaltene öffentliche Wählerversammlung. Nur einige
über 20 Mann hatten es der Mühe Wert gehalten, den Ruf der sozialdemokratischen
Parteileitung zu folgen und den recht instruktiven Vortrag des Herrn Fischer - Hamburg zu
lauschen. Der Redner verbreitete sich in ausführlichen Darlegungen über die Bedeutung
der Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus und betonte, daß Pflicht eines jeden
Arbeiters es sei, am 12. November seine Stimme für die von der Partei aufgestellten
Wahlmänner abzugeben. In der Diskussion mußte die Leitung des Wahlvereins wieder den
Vorwurf über sich ergehen lassen, für den Besuch der Versammlung nicht die nötige
Agitation entfaltet zu haben. Der Vorsitzende begründete jedoch den schwachen
Versammlungsbesuch einerseits in der Interessenlosigkeit gegenüber den Landtagswahlen,
andererseits aber auch in der durch nichts aufzurüttelnde Gleichgültigkeit der Mehrzahl
der Wahlvereinsmitglieder. Nach der Wahl einer neunköpfigen Kommission, die Hand in Hand
mit dem Vorstand die Vorarbeiten zu leisten hat, wurde die Versammlung geschlossen. |
Es dauerte jedoch nicht lange, bis auch diese Probleme der Mobilisierung
erfolgreich behoben werden konnten. Zur 1. Mai-Feier im folgenden Jahr kamen ca. 400
Genossen, um ,,am frühen Morgen" nach Ost-Steinbek hinauszuwandern, um den Genossen
behilflich zu sein, bei der Propaganda ,,für die Errichtung des Achtstundentages."
Der Zulauf zur Partei setzte sich in den folgenden Jahren stetig fort. Es war keine
Einzelheit, daß während einer Versammlung mehr als 10 neue Mitglieder verbucht werden
konnte. Von 516 Mitgliedern konnte man im Jahre 1913 eine Verdoppelung der Mitglieder
verbuchen, mit 908, davon waren 130 Frauen und 778 Männer. Die Mitglieder setzten sich
aus fast allen Berufsrichtungen zusammen, hauptsächlich waren dies jedoch die reinen
Arbeiterberufe, wie Maurer, Zimmerer, Holzarbeiter und Maler. Ärzte oder Schulräte
konnte man zu dieser Zelt noch nicht in der Partei rekrutieren. Alle Arbeiter gehörten
ihrer jeweiligen Gewerkschaft an, so daß eine enge Zusammenarbeit mit der Partei und der
Gewerkschaft stattfand.
Mitgliederzahlen
1906: 516
1908: 747
1910: 851
1911: 881
1912: 878
1913: 908 |
Aus dem Bericht einer Versammlung des 8. und 10. Schleswig - Holsteinischen
Wahlkreises vom 13.01.1906 kann man die damalige Berufsstruktur unserer Partei erkennen.
Von insgesamt 516 Mitglieder waren
Maurer 112 |
Buchdrucker 2 |
Küper 3 |
Zimmerer 44 |
Heizer 2 |
Ziegler 1 |
Holzarbeiter 25 |
Maler 3 |
Schuhmacher 3 |
Metallarbeiter 12 |
Händler 13 |
Barbiere 5 |
Zigarrenarbeiter 16 |
Glaser 2 |
Gerber 1 |
Lagerhalter 2 |
Gärtner 3 |
Bäcker 3 |
Handlungsgehülfen 1 |
Schneider 2 |
Färber 1 |
Musiker 7 |
Alle hier aufgeführten Mitglieder gehören sämtlich ihrer jeweiligen
Gewerkschaftsorganisation an, 260 weitere Mitglieder waren nicht organisiert.
Ein weiterer Beschluß dieser Versammlung war, ,,Diskutierabende einzuführen, damit
jedem Genossen genügend Gelegenheit geboten ist, sich geistig weiter zu entwickeln."
Die sozialdemokratische Bewegung fand in Deutschland immer größeren Zulauf. Wie stark
die Genossen zu dieser Zeit bereits waren, zeigt ein Zeitungsbericht aus dem ,,HAMBURGER
ECHO" vom 11.04.1906
Ein sozialdemokratisches Begräbnis
In Hannover bewegt sich 26000 Menschen in einem gewaltigen Zug hinter der Leiche des
sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten MEISTER. 200.000 Menschen umsäumten die
Straßen, die der Trauerzug passierte. Es war eine sozialdemokratische Kundgebung, wie sie
gewaltiger kaum gedacht werden kann. |
Hauptsächlich befassten sich die Genossen mit den Problemen, die durch die
Ausbeutung der Arbeitgeber entstanden. Weitere Themen waren das Drei - Klassen -Wahlrecht
in Preußen, unter dem auch die Bürger In Schiffbek zu leiden hatten. In der 1. Klasse
spiegelten sich hauptsächlich die Akademiker wider, wie Ärzte, Rechtsanwälte o.ä.. Die
2. Klasse war die Klasse der Firmenbesitzer, des Kapitals. Arbeiter und Angestellte
mußten sich mit der 3. Klasse zufriedengeben. Bei Wahlen zeigte sich jedoch immer wieder,
daß auf die sozialdemokratischen Kandidaten in der 3. Klasse die meisten Stimmen
entfielen.
Im Jahre 1908 wurde eine Resolution angenommen, die sich gegen das preußische
Dreiklassenwahlrecht ausspricht:
,,Die
heute zum Protest gegen die Schmach des preußischen Dreiklassenwahlrechts versammelten
Männer und Frauen fordern, daß die preußische Regierung unverzüglich den Landtag eine
Vorlage, nach welcher das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht nach Maßgabe
der Verhältniswahl für alle über 20 Jahre alten Staatsangehörigen ohne Unterschied des
Geschlechts noch vor den Neuwahlen eingeführt werden muß. Die Versammelten haben es
satt, in Preußen als politische Heloten zu gelten, nachdem südlich der Mainlinie das
allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht gesiegt hat." |
Zu diesem Thema fand in Schiffbek keine Versammlung statt, jedoch in Steinbek,
die von etwa 400 Personen besucht war.Erst nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs durch
die Niederlage im Weltkrieg I. wird auch in Preußen das Verhältniswahlrecht eingeführt.
Wie stark die Verfolgung der Sozialdemokraten während der Monarchie war, zeigt das
besondere Engagement unseres Reichstagsabgeordneten Karl Frohme, der es sich zur Aufgabe
machte, im Reichstag von verdeckten Operationen der Polizei mit Hilfe zwielichtiger
Untergrundagenten und polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen gegen die Arbeiterbewegung zu
berichten und aufzudecken. Frohmes Arbeit beschränkte sich fast nur auf innenpolitische
Themen, so war er z.B. neben Bebel der Sprecher der SPD-Fraktion, als es um die sog.
Zuchthausdebatte ging. Damals ging es um die Verschärfung der Strafdrohung gegen
Abwehrmaßnahmen der Arbeiter beim Einsatz von Streikbrechern. Vorausschauend war Frohmes
Rede zur Kritik des Nichtehelichenrechts, welches im BGB festgeschrieben werden sollte.
Doch auch außenpolitisch spielte er eine Vordenkerrolle in der Reichstagsfraktion. Als
hätte Frohme eine Rede für unsere Zeit geschrieben, ist seine Kritik an den
Militärkosten als Ursache für wirtschaftliche Not und Staatsverschuldung. Dabei stellt
er im europäischen Zusammenhang die Schraube des Wettrüstens und die Folgen dar,
verweist darauf, daß jede stärkere Kanone stärkere Panzertürme usw. nach sich zieht.
Nach zwei Währungszusammenbrüchen als Folge der beiden Weltkriege, bei wachsenden
Rüstungslasten, bei wachsender Bedrohung durch das Wettrüsten liest man Frohmes Kritik
wie eine Darstellung heutiger Verhältnisse.
Frohme bleibt bis 1924 Abgeordneter im Reichstag und gehörte nach dem Kriege zu den
Vätern der Weimarer Republik. 1926 bringt er seine Lebenserinnerungen zu Papier. Am 9.
Februar 1933 verstirbt der aufopferungsvoll für Gerechtigkeit eintretende Karl Frohme, so
daß ihm eine erneute Verfolgung erspart bleibt.
Je näher der Krieg rückte, desto mehr war die Kriegsgefahr und deren Folgen auch
Themen im Ortsverein Schiffbek und Umgegend. Am 22.10.1912 versammelten sich etwa 1000
Personen auf den Plätzen an der Möllner Landstraße, wo der Referent Koch aus Hamburg
über die Teuerung, die Kriegsgefahr und das preußische Wahlrecht sprach. Allerorts
fanden ähnliche Veranstaltungen statt, bei denen eine gleichlautende Resolution im Sinne
der Forderungen angenommen wurde. Auf einer Mitgliederversammlung vom 24.5.1913 gab der
Vorsitzende E. Poling einen Überblick über mehrere Protestversammlungen, die sich mit
der drohenden Kriegsgefahr beschäftigten, um der herrschenden Klasse vor Augen zu
führen, daß das arbeitende Volk nicht gewillt sei, sich im Interesse verschiedener
Kapitalistenklassen willenlos abschlachten zu lassen.
Der erste Weltkrieg spaltete auch die Genossen in Schiffbek. Heftige Debatten um die
Kriegskredite waren damals an der Tagesordnung. Vor Ort jedoch wurde es zur Aufgabe der
Genossen, solche Familien zu unterstützen, deren Angehörige in den Krieg eingezogen
wurden und für die in Folge von Arbeitslosigkeit in Not geratenen Menschen zu sorgen. Das
Hamburger Echo berichtete in einem Bericht am 4.9.1915 über einen Vortrag des
Abgeordneten Frohme, der die Probleme bei der Zustimmung zu den Kriegskrediten erläuterte
und die Partei davor warnte, sich von der Opposition leiten zu lassen, denn eine Spaltung
wäre gerade zu dieser Zeit das Ende der Sozialdemokratie gewesen. Wie sich die Meinung
dann jedoch hinsichtlich dem Verlangen nach Frieden änderte, zeigte folgende Frage, die
auf einer Versammlung gestellt und da lautet: Kann uns als Arbeiter der Ausgang des
Krieges gleichgültig sein ?
Die Folgen einer Niederlage, eines Zusammenbruchs der deutschen Volkswirtschaft im
Hinblick auf den Erhalt der Schiffbeker Arbeitsplätze wurden diskutiert. Soll Deutschland
auch für die Arbeiterklasse wohnlich eingerichtet werden, so müßte vor allem
Deutschland vor einer Vernichtung bewahrt werden.
Der 11. November 1918 war für Deutschland der Tag des Waffenstillstands, in Schiffbek
bedeutete dies, daß die Genossen sich jetzt um die Bildung einer Demokratie auf
kommunaler Ebene einzusetzen hatten.
Am 9. November 1918 hat Prinz Max von Baden dem Sozialdemokraten Ebert das
Reichskanzleramt übertragen. Somit steht zum ersten Male in der deutschen Geschichte ein
Sozialdemokrat an der Spitze der Regierung. Es wird der erste demokratische Staat auf
deutschem Boden sein.
Zu den größten Problemen dieser Zelt gehörte es, die darniederliegende Wirtschaft
wieder in Gang zu bringen und den Arbeitern über die Zeiten der Not und Verelendung
solidarisch hinwegzuhelfen. Es wurde sogar überlegt, eine Eingemeindung Schiffbeks in
Hamburg vorzunehmen.
Auf einer Versammlung am 21.12.1918 wurden die Bauern und die ,,Schleichhändler"
wegen ihrer Raffiniertheit schwer verurteilt, weil sie es ,,wagen, in der jetzigen Zeit
das Volk zu hintergehen".
Die Partei sollte wieder zu alter Stärke zurückkehren, deshalb straffte man die
Organisation in Schiffbek und Umgegend und teilte am 25.3.1919 Schiffbek in 13 und
Kirchsteinbek in 4 Bezirke für die Kassierung auf. Aus Schiffbek werden 3 Distrikte,
Kirchsteinbek und Öjendorf zu jeweils einem Distrikt aufgeteilt. An der ersten Mai-Feier
nach dem Kriegsende nahmen bereits 3000 Personen teil, ein Zeichen dafür, daß der
Verband sich wieder formierte und wieder effektiv arbeiten konnte.
Die Bedingungen der Siegermächte und die Kriegsschuldfrage waren die herausragenden
Themen, die auf einer Versammlung vor der Kirchsteinbeker Kirche angesprochen wurden. Die
Angst, daß die Nachbarstaaten zu groß und zu mächtig werden würden, veranlaßte die
Besucher ,,lieber als Nation unterzugehen, als sich zu Sklaven der Entente" zu
machen. Eine entsprechende Resolution wurde einstimmig angenommen. Daß diese Resolution
keine Wirkung mehr hatte, zeigte die Weimarer Republik in ihrer Blütezeit von 1924 -
1928.
Der ,,Rat der Volksbeauftragten", der sich aus den Unabhängigen und
Mehrheitssozialisten Haase, Landsberg, Dittmann, Ebert, Scheidemann und Barth
zusammensetzte, rief am 19. Januar 1919 zur Wahl einer verfassungsgebenden
Nationalversammlung gegen die Stimmen der Linksradikalen auf. In Schiffbek erreichten die
Sozialdemokraten mit einer Stimmenzahl von 2412 76,3 % der abgegebenen Stimmen. Bei den
weiteren Wahlen zum Reichstag und zu den Landtagen erreichte die SPD trotz daß die
Kommunisten zweitstärkste Partei in Schiffbek wurden, immer eine klare Mehrheit.
Auch in Schiffbek, Steinbek und Öjendorf wirkte sich die ,,Blütezeit" der
Weimarer Republik positiv aus. Die Einwohnerzahl stieg ständig und die Ansiedlung neuer
Firmen sowie die Modernisierung der Alten wurde gefördert. Dies hatte zwar nicht
zwangsläufig zur Folge, daß ein Wirtschaftswunder einsetzte, doch die
Lebensverhältnisse in Billstedt konnten verbessert werden. Durch eine Art
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, dem Bau der Bergstraße konnte ein Teil der Arbeitslosen von
der Straße geholt werden. Die Errichtung eines Kalksandsteinwerkes sollte die gleiche
Wirkung erzielen.
Am 3.2.1929 setzte sich eine Arbeitsgruppe Billstedt mit den Problemen in Billstedt
auseinander, darunter der Tagesordnungspunkt: ,,Lösung der Groß-Hamburg- Frage und die
Wohnungsnot in Billstedt, die hier gerade am größten war. Auch die Modernisierung der
Kanalisation in Billstedt war Teil der Gespräche am 3.2.
Mit dem wirtschaftlichen und politischen Niedergang der Weimarer Republik setzte auch
in Billstedt der Aufstieg der Nationalsozialisten ein. Im Januar 1933 übernehmen die
Nazis die Macht in Berlin. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Auswirkungen auch in
Billstedt zu spüren waren. Das ,,Hamburger Echo" berichtet fortlaufend von
Überfällen und politischen Ausschreitungen. Bereits am 2.3 1933 werden Flugblätter und
Propagandamaterial der Sozialdemokraten und Kommunisten in Billstedt beschlagnahmt. Bei
den Wahlen am 5.3.1933 erreichten die NSDAP und DNVP die absolute Mehrheit und mit dem
Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 endete auch die Existenz der
Sozialdemokraten in Billstedt.
1933 - 1945
Jahresbericht
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Landesorganisation
Hansestadt Hamburg -
Distrikt Billstedt - Horn.
Die SPD erfasste im Ortsverein Billstedt im Jahre 1933 bis zur Auflösung rund 300
Mitglieder. Das Verbot der Partei machte die Bewegung illegal. Zu den aktiven Trägern
wurden meistens Genossen, die bisher nicht unmittelbar in der Arbeit als Funktionäre
gestanden hatten. In den Wohnungen fanden wenige Tage nach dem Verbot die ersten Sitzungen
statt. Maßgeblich waren beteiligt die Genossen Ernst Blume, Friedrich Wulf, Karl Strutz,
Willi Winkelmann, Hermann Blume und andere. Das Material wurde zunächst aus Wandsbek vom
Genossen Paul Künder und später aus Hamburg vom Genossen Walter Schmedemann bezogen. Die
Verteilung geschah nicht nur in Billstedt, sondern mußte auch noch nach den weiter
liegenden Orten, z.B. Bergedorf transportiert werden. Die Arbeit war sehr umfangreich.
Neben dieser Gruppe arbeitete noch unter Führung von Willi Dreier und August Dührkoop
eine Gruppe, hauptsächlich bestehend aus RB-Kreisen an der illegalen Organisation. Es
entstanden mehrere Parteizellen in Billstedt. Umfangreiches Material wurde vertrieben und
zum Teil selbst hergestellt. Sammellisten wurden gezeichnet. U.a. wurde zum 9.November
1933, dem 15. Jahrestag der Novemberrevolution eine mehrseitige Denkschrift hergestellt,
an der maßgeblich der Genosse Strutz für die Redigierung und Willi Winkelmann für die
Herstellung verantwortlich zeichneten. Die Massenvervielfältigung der Broschüre
,,Konzentrationslager Oranienburg" von Gerhard Seeger wurde in Billstedt besorgt,
ebenso der Vertrieb für die Stadt. Durch direkte Verhandlung und Organisation im Ausland
(Kopenhagen) haben Billstedter Genossen maßgeblich am Aufbau der illegalen
Parteiorganisation im Städtegebiet mitgewirkt.
Diese Arbeit wurde im Juni 1935 abgebrochen, nachdem die Gestapo in einer Nacht -am
18.6.1935 - 48 Billstedter Männer und Frauen der SPD verhaftete und ins
Konzentrationslager Fuhlsbüttel brachte. Unter den Verhafteten befanden sich die alte
Genossin Benthien und die Genossin Corleis, die im KZ umgekommen ist. In einem
Hochverratsprozeß am 12. November 1935 wurden verurteilt:
Hermann Blume |
3 Jahre |
August Dührkoop |
2 Jahre |
Karl Strutz |
2 Jahre |
Ernst Blume |
18 Monate Gefängnis |
Friedrich Wulf |
18 Monate Gefängnis |
W. Winkelmann |
15 Monate Gefängnis |
Für die ersten drei Angeklagten vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht hatte der
Staatsanwalt 5 bzw. 4 Jahre Zuchthaus beantragt. Vorher war schon der Genosse Willi Dreier
zu 18 Monaten Zuchthaus vom Kammergericht in Altona verurteilt worden.Ähnlich wie in
Billstedt sind aus den Stadtteilen Horn und Billbrook die organisatorischen Vorbereitungen
für den Neuaufbau der Partei schon in der Zeit gelegt worden. Jeder nach seiner Art und
unter den gegebenen Verhältnissen verschieden, wurde die Arbeit nach der Haftentlassung
der verurteilten Genossen fortgesetzt. Ohne organisatorische Grundlage war eine heimlich
Verbundenheit vorhanden, für die der ausländische Rundfunk die Mittel der Propaganda
hergab.
Mit dem Einmarsch der Alliierten beginnt unsere Freiheit. Der ungeheure seelische Druck
findet seine Entlastung. Die Geschichte der Partei beginnt neu. In den ersten Maitagen
sind eine Reihe Billstedter und Homer Genossen maßgeblich am Aufbau der sich in Hamburg
gebildeten Sozialistischen Freien Gewerkschaften beteiligt.
Der Neubeginn 1945
Niederschrift
Am heutigen Tage versammelten sich, nachdem schon an mehreren Tage vorher lose
Besprechungen stattgefunden hatten, die unterzeichneten früheren Mitglieder der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Ortsverein Billstedt, um ihre seit 12 Jahren
unterbrochene Parteiarbeit wieder aufzunehmen.
Die Zeit der Unterdrückung und des unerhörtesten Nazi-Terrors ist vorbei infolge der
vollständigen politischen und militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands.
Da durch die alliierte Besatzungsarmee politische Parteien noch nicht zugelassen sind,
muss sich die Tätigkeit der untenstehenden Genossen zunächst im Rahmen
gewerkschaftlicher Tätigkeit als Mitglieder der Sozialistischen Freien Gewerkschaft
Hamburg bewegen, deren Ziele sich mit unseren parteipolitischen decken, nämlich:
Kampf gegen jede Tyrannei
Kampf gegen den Militarismus
Restlose Ausrottung des Nationalsozialismus
Es kann somit der heutige Tag als Wiedergründung des Ortsvereins Billstedt der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bezeichnet werden. Wir geloben, für unser
Ziel:"Ein freies, demokratisches, sozialistisches Deutschland" unsere ganze
Kraft einzusetzen.
,,Auf Sozialisten, schließt die Reihen"
Hamburg- Billstedt, den 16. Mai 1945
gez. H.Blume, A. Dührkoop, WIh. Dreyer Friedrich Paschen, K. Strutz |
Neugründung des Distrikts Billstedt
Der alte Distrikt Billstedt - Horn, der sich nach seinem Ausscheiden aus dem Kreis VII
als Kreis XII etablierte, richtete drei neue Distrikte ein und zwar den Distrikt
Billstedt, den Distrikt Horn und den Distrikt Billbrook-Moorfleet. Alle diese Distrikte
mußten nun wieder mit dem Aufbau beginnen.
Auf einer außerordentlichen Distriktsversammlung des alten Distrikts Billstedt-Horn
wurde am 27. März 1946 der Distrikt Billstedt neu gegründet. Auf dieser
Distrikstversammlung hielt die Genossin Maria Klinke ein Referat ,,Die Frau in der
Gegenwart" das guten Anklang fand.
Am 1. April 1946 trat der Distrikt Billstedt im Kreis XII der Landesorganisation
Hamburg offiziell in Erscheinung mit einer Mitgliederzahl von 353, die sich aus 254
Männern und 89 Frauen zusammensetzt. Diese Mitgliederzahlen steigerten sich dann von
Monat zu Monat, besonders in den Monaten April und Mai sowie auch im August , Oktober und
Dezember auf insgesamt 1026 Mitglieder.
Der erste Billstedter Abgeordnete war Hugo Feser, der bei den Bürgerschaftswahlen im
Oktober 1946 59,2 % auf sich vereinen konnte. Hugo Feser blieb bis zu den ersten freien
Wahlen im Oktober 1949 Bürgerschaftsabgeordneter. Er wurde abgelöst vom damaligen
Billstedter Distriktsvorsitzenden Karl Strutz. Karl Strutz, der schon im Untergrund für
die Partei weiterarbeitete, wurde im Oktober 1946 in die Bürgerschaft gewählt. Sein
Ergebnis lag bei 68,7 %. Karl Strutz galt als ,,echter" Sozialdemokrat, er setzte
sich aufopferungsvoll für die Belange der Billstedter Bürger ein und war bei vielen
Genossen nicht nur der Abgeordnete, sondern auch der Kumpel von nebenan. Karl Strutz wurde
im Januar 1963 von Helmuth v. Stein abgelöst.
Neben Helmuth v. Stein arbeitete Anton Duschek bereits seit 1961 in der Bürgerschaft.
Die Amtszeit beider Abgeordneten endete im April 1966. Als Nachfolger tritt Dieter Blötz
an. Dieter Blötz wirkt eine Legislaturperiode als einziger Billstedter Abgeordneter in
der Bürgerschaft bis ihm im April 1970 Harry Hartz an die Seite rückt. Beide Genossen
arbeiteten bis März 1974 zusammen. Dieter Blötz verläßt nach zwei Legislaturperioden
die Bürgerschaft. Ihm folgt Lothar Reinhard. Harry Hartz bleibt bis zum Juni 1978 in der
Bürgerschaft. Lothar Reinhards Amtszeit beginnt im März 1974 und endet im Mai 1982. Mit
63,4 % wird im Juni 1978 Hans Schefe zum Bürgerschaftabgeordneten gewählt.
Die nachfolgende Liebeserklärung an Billstedt stammt von der
am 27.02.1913 geborenen Billstedterin Wera Fricke, geb. Rulc. Ihr Vater ist
achtzehnjährig aus Tschechien nach dem damaligen Steinbek ausgewandert, da er nur so
seine Mutter und vier Geschwister ernähren konnte. Als Schneidermeister nähte er Tag und
Nacht und brachte es später - nach Auflösung der Jute - zu einem Häuschen am
Spökelbarg.
Unser Billstedt - Kindheitserinnerungen
von Wera Fricke, geb. Rulc
Schiffbek, Kirchsteinbek und Öjendorf,
einst gehörten zum preußischen Land,
drei kleine Dörfer unbekannt,
wurden dann Billstedt genannt.
Zu Hamburg kam Billstedt an den Städterand,
und das ist uns allen bekannt;
die kleinen Häuschen verschwanden schnell,
gebaut wurde höher und hell.
Es gab nur kleine ,,Tante Emma-Läden'",
dort kauften wir Kinder gern ein.
Als Belohnung gab' s eine Handvoll Bonbon,
wir konnten nicht glücklicher sein.
Wo sind die Jahre geblieben,
wo wir spielten am Straßenrand?
Liefen barfuß über die Wiesen,
Wagen waren mit Pferden bespannt.
Die Sonne schien heller, die Luft rar rein
und sauber der Bille-Fluß,
wir konnten baden im Sonnenschein
und kannten keinen Streß.
Unser größter Spaß war der Spritzenwagen,
Kilometer weit liefen wir mit.
Auf dem Brook liefen wir im Winter Eis,
das waren unsere größten Hits.
Respekt hatten wir vor den Klassenlehrern,
ihnen rutschte die Hand auch mal aus.
Doch die Strafen fanden wir stets gerecht
und trollten uns fröhlich nach Haus.
Den Steinbeker Markt gibt es heute noch,
eine Sensation zweimal im Jahr.
Daran erfreuen sich alt und jung
und die ganz kleine Kinderschar.
Wir glaubten an das Christkind und den Weihnachtsmann;
wie war unsere Kindheit doch schön.
Die Babys holte der Storch aus dem Teich,
wie konnt' es auch anders geschehn.
Wo sind die Jahre geblieben,
das Leben schien schöner zu sein;
die Erinnerungen sind uns geblieben -
wir wollen zufrieden sein.
Man sagt, alte Bäume verpflanzt man nicht.
Der Gedanke liegt mir so fern.
Hier möchte ich bleiben bis an mein End',
denn ich habe mein Billstedt so gern.
Die am 01.02.1925 geborene Billstedterin Gertrud Passehl hat im Tagebuch ihrer Mutter
unter dem Datum "2. Ostertag, 23.4.1919" folgenden Eintrag gefunden, der ihr zu
dem Gedicht ihrer Bekannten Wera Fricke gefiel:
" Mit Mama einen herrlichen weiten Spaziergang unternommen
über die Dörfer Horn - Schiftbek - Steinbek - Kirchsteinbek - Oststeinbek - Jenfeld -
Wandsbek. wir gingen zeitweise querfeldein über sumpfige Wiesen und Gräben, das ist
fideler als die Tatsache, man fürchtet ständig sich ganz fest zu laufen."
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